FRENDE

Die Muralt - Zum Selbstverständnis einer Familie

Die Familie de Muralto trägt ihren Namen von dem gleichnamigen Vorort von Locarno. Den Mittelpunkt bildete die Collegiatskirche San Vittore, die einstmalige Mutterkirche von Locarno.

San Vittore war schon im Jahre 1152 ein Chorherrenstift. Vergabungen und Stiftungen vom benachbarten Adel bildeten die materielle Grundlage von Kirche und Stift, womit sich die Donatoren gewisse Patronatsrechte sicherten. Sie beanspruchten für sich und ihre Nachkommen das Präsentationsrecht der Geistlichen für die von ihnen gestifteten Kirchen und Altäre. Umgekehrt war die Besoldung dieser Kirchendiener Sache der Donatoren. Dazu verhalf ein Teil der Einnahmen aus dem vergabten Kapital und aus den geschenkten Ländereien. Die Chorherrenstifte ermöglichten somit, den Nachkommen ihrer Wohltäter ein standesgemäßes Dasein zu sichern.

Die de Muralto unterhielten enge Beziehungen zu San Vittore. Zwei Altäre sind de Muralt-sche Stiftungen. Über die als Benefizium der beiden Altäre bestimmten Grundstücke ist jede dokumentarische Spur verschwunden. Ungleich wichtiger aber ist für uns, daß der Zehntenkatalog des Chorherrenstifts San Vittore erhalten geblieben ist. Ohne diesen Zehntenkatalog, der die Stammfolge der de Muralto bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen läßt, hätten unsere Stammtafeln etliche Generationen weniger aufzuwei-sen.

Mit den Muralten gehörten viele Sippen- und Standesgenossen zu den Wohltätern des Gotteshauses, so die de Orello, Magoria, Gnosca, Rastelli u.a.m. Es waren dies die Capitanei von Locarno, auf die ich noch eingehender zu sprechen komme.

Wie in einer einwandfrei als echt befundenen Urkunde des Kaisers Friedrich I Barbarossa, datiert vom 27. Juni 1186, nachzulesen ist, wurden diese homines fideles - bis anhin unter der Herrschaft der Stadt Como - von jeder Gewalt außer der des Reichs befreit. Die längst ersehnte Reichsunmittelbarkeit dauerte freilich nur sechs Jahre.

Zu den Vorrechten der Reichsunmittelbarkeit gehörte eine Vielzahl Regalien, vor allem der Große Zoll an der Sust, der Große Zoll von Locarno, die Export- und Transitabgaben von Magadino und Gordola, Fischereirechte, u.a.m. Hinzu kamen landwirtschaftliche Be-triebe, Meierhöfe, Burgen, Herrschaften, Talschaften, ja ganze Ländereien.- Mit der unter Friedrich II erfolgten Zurückschaltung unter die Stadtherrschaft Como drohte die städtische Konkurrenz und die Degradierung zu gewöhnlichen Untertanen, so daß die homines fideles sich zu einer Genossenschaft (consorzio) zusammenschlossen. Aus einer rein wirtschaftlichen Interessensgemeinschaft zur Sicherung der nutzbaren Regalien, an der alle homines fideles - an deren Spitze die beiden Geschlechtergruppen de Muralto und de Orello - beteiligt waren, entstand allmählich ein eng geschlossener Sippenverband, deren Mitglieder mit den wirtschaftlichen zunehmend politische Zwecke verfolgten.

Neben dieser Darstellung, die auf zuverlässigen Quellen beruht, existiert - wie in vielen alten Familien - noch eine Überlieferung, die den Ursprung des Geschlechts in das frühe Mittelalter zurückverlegen will, bis zu einem legendären Teilkönig in Franken des 8. Jahrhunderts, namens Milo, aus dessen Nachkommenschaft dann im 10. oder 11. Jahrhundert drei Brüder, Söhne des Grafen Clairmont von Lothringen, nach Locarno kamen und dort die drei Capitanei-Geschlechter, der Muralti, Orelli und Magoria begründeten. Die Legende - im Jahre 1916 von Karl Meyer in seinem grundlegenden Werk "Die Capitanei in Locarno" als unhistorisch erklärt - hat sich über Jahrhunderte vererbt und auch die Gestaltung des Wappens beeinflußt. Noch Eduard v. Muralt läßt in seiner 1855 publizierten Denkschrift den nach Locarno gekommenen Landulf von Clairmont Mitte des 10. Jahrhunderts eine feste Burg mit einer hohen Ringmauer (muro alto > Muralto) bauen.

Der Hauptbestandteil des heutigen "Schlosses", das trümmerhaft und vollständig verbaut in dem südwestlich gelegenen Quartier an der Via dei Muralti steht, dürfte nach Rudolf Rahn, kaum vor der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts entstanden sein. Eine rundbo-gige Türe, deren Freitreppe zum ersten Flur führt, zeigt heute noch das Wappen der de Muralto; dasselbe wiederholt sich am Hoftor.

Bernard von Muralt

show more
X

Login

Please type your username and password in the fields below




LOGIN